Angst und Bauchgefühl sind gute Wegweiser – Tim A. Bohlen von Expedition Ego im Interview

Für Tim A. Bohlen von Expedition Ego gehört das Bergsteigen zu den intensivsten Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hat. Ein Jahr zu verbringen, ohne auf einem Gipfel gestanden zu haben, kann er sich kaum vorstellen. Wirklich wichtige Schritte seiner eigenen Entwicklung sind untrennbar mit diesen Erlebnissen verbunden: zahllose Stunden des Grübelns im Auf- und Abstieg, uneingeschränkte Demut auf dem Gipfel, der klare Kopf am seidenen Faden des Kletterseils in der Wand oder ungesichert mit dem Blick auf die schützende Matte am Boden. Tim wird  Gastbeiträge über das Bergsteigen hier im Hiking Blog veröffentlichen. Als Einstieg, um mehr über Tim zu erfahren, habe ich mit ihm ein Interview geführt:

Beschreib dich doch bitte mal kurz in 2-3 Sätzen.

Ängstlich, mutig, berechenbar und schwer einzuschätzen. Mein größter Widerstand bin ich. Deswegen schreibe ich.

Wann hast du mit dem Bergsteigen begonnen?

Als Kind. Mein Vater war als Jugendlicher Bergsteiger, einige Jahre später hat er seine Familie auch in die Berge geführt. Als ich dann Jugendlicher war, hatte ich andere Dinge im Kopf. Nach dem Abitur habe ich mir die Frage gestellt, was ich unbedingt machen wolle in meinem Leben. Ein paar Tage später habe ich mit dem Klettern angefangen und die Berge sind mir wieder in den Sinn gekommen.

Was fasziniert dich am Bergsteigen?

Die Auseinandersetzung mit dem Berg. Es gibt eigentlich keinen Grund, auf Berge zu steigen. Dies halte ich mir auch immer auf den Anstiegen vor. Deswegen geht es darum, einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Dies zu verstehen, ist eine große Lektion, die man auch in allen anderen Bereichen des Lebens anwenden kann. Dann auf dem Gipfel zu stehen und zu merken, wie kurz die eigene Lebensspanne im Angesicht dieser Millionen Jahre alten Berge ist, hilft mir, mich wieder zu erden. Das Leben etwas gelassener zu sehen. Den auch in hunderten Jahren können diesen Anblick Menschen genießen, meine Probleme sind dann längst in Vergessenheit geraten.

Wie bereitest du dich auf die nächste Besteigung vor?

Bergsteigen findet in der Natur statt. Und die interessiert sich herzlich wenig für einen Menschen. Respekt ihr gegenüber zu haben, bedeutet für mich, im Vorfeld einer Tour meinen Kopf zu benutzen und anständige Ausrüstung dabei zu haben: Führer, Kartenmaterial, Kompass, Handy, gute Schuhe und Socken, wetterfeste Klamotten, Sonnenbrille, Sonnencreme, Kopfbedeckung, Notfallversorgung und eine Stirnlampe für den Fall, dass alles etwas länger dauert. Ausreichend Wasser und etwas zu essen. Ich schaue mir Touren vorher an und versuche, eine realistische Einschätzung von Länge und Belastung zu bekommen. Dann prüfe ich das Wetter, in dem ich in der Regel Einheimische direkt vor Ort frage. Auf den Wetterbericht kann man sich in den Alpen meist nicht verlassen.

Gab es mal eine besondere Herausforderungen, an die Du Dich noch erinnern kannst?

Der Glaube an mich selbst, als wir zwei Gipfel hintereinander machten und ein Gewitter aufzog. Uns kamen mehrere Menschengruppen entgegen, die mit Blick auf das Gewitter in die andere Richtung liefen. Ich versuchte sie, davon zu überzeugen, dass unser Weg am schnellsten zur nächsten Hütte führen würde. Wir waren rechtzeitig in Sicherheit. Minuten später brach die Hölle los. Ich bin froh, dem Herdentrieb widerstanden zu haben. Hoffentlich geht es allen, die mir begegnet sind, gut.

Was war deine intensivste Erfahrung?

Diesen Sommer haben wir vor dem Gipfel gesehen, dass das letzte Stück mit Seilen und Ketten gesicherte Kletterei war. Meine Freundin wollte nicht, der Hund konnte nicht. Weil die Bedingungen gut waren und ich auf den Gipfel wollte, bin ich das letzte Stück allein gegangen. Als ich dann oben auf dem ausgesetzten Gipfel alleine stand, war ich wirklich frei und alles andere egal.

Hast du schon mal eine Grenzsituationen erlebt?

Das war der Moment, als meine Hand beim Vorstieg vom Griff abrutschte und ich genau wusste, dass das jetzt doof werden kann. Darauf folgte ein Zehn-Meter-Sturz und Gott sei Dank nur ein überdehntes Band im rechten Fuß.

Wie schaffst du es, mit schwierigen Situationen umzugehen und dich zu motivieren?

Ich habe ein Ziel im Kopf, welches ich erreichen will. Solange ich das nicht geschafft habe, hinterfrage ich nicht. Ich laufe einfach, bis ich angekommen bin. Natürlich will ich Ziele nicht um jeden Preis erreichen. Es geht also auch darum, zu lernen, richtige Entscheidungen zu treffen. Angst und das Bauchgefühl sind gute Wegweiser. Sie zeigen einem sehr deutlich, wohin die Reise gehen sollte. Panik und kurzfristige Befriedigung – etwa aufzugeben, sich nicht der Herausforderung zu stellen, weil man glaubt, dass es keinen Sinn habe – sind sicherlich keine guten Helfer.

Was sind die wichtigsten drei Dinge, die du immer dabei hast?

Partner, Hund, Bauchgefühl.

Auf welche drei Bekleidungsgegenstände würdest du beim Bergsteigen nie verzichten?

Gute Schuhe, wetterfeste Jacke, Kopfbedeckung.

Was ist das Erste, was du nach einem ­Abstieg machst?

Ich bedanke mich bei dem Berg für das Erlebte. Dann starre ich regungslos auf den Gipfel, bis ich zur Abfahrt genötigt werde.

Hast du einen Lieblingsberg?

Der Schlern. Er ist für mich das Symbol meiner „Wahlheimat“ Südtirol. Sobald ich ihn aus dem Auto heraus sehen kann, weiß ich, dass ich angekommen bin. Er ist auch immer der letzte Gipfel, auf den ich bewusst blicke, wenn es wieder nach Hause geht.

Ein besonderer Ort ist auch Firmian – der Zauberberg oberhalb von Bozen. Auf diesem Hügel thront Schloss Sigmundskron mit dem Messner Mountain Museum. Wenn jemand die Verbindung zwischen Mensch und Berg verstehen will, dann sollte er dieses Museum besuchen. Ich kenne keine bessere Beschreibung dafür.

Wenn ich mich schon nicht auf einen Berg beschränken kann, dann seien noch die Dolomiten zu nennen. Sie rauben mir jedes Mal den Atem. Ich habe noch nie etwas so Beeindruckendes gesehen.

Welche Besteigung hast du dir für 2011 vorgenommen?

Für 2011 habe ich mir einen echten Klassiker vorgenommen: Von Oberstdorf nach Meran auf dem E5. Mich interessieren keine Modeberge oder Touren, die man gemacht haben „muss“. Meist suche ich Orte, an denen ich weitestgehend alleine die Natur erleben kann. Der E5 hat es mir trotzdem angetan. Es gilt also, den Zeitpunkt so zu wählen, dass man nicht in Schlangen am Gipfel anstehen muss.

Vielen Dank für das Interview.

Veröffentlicht von

Mein Name ist Jens und ich bin ein absoluter Outdoor-Enthusiast: Wandern und Trekking bedeutet für mich, die Natur hautnah mit allen Elementen erleben – egal ob bei Sonnenschein, Regen oder Schnee. Mich zu bewegen, Neues zu erkunden und mich den Herausforderungen der Natur zu stellen, sind für mich ein idealer Ausgleich zum Alltag.

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